Zur Geschichte der Juden in Niederzissen


Einer Bestätigung Richard Bergers, des Sohns des letzten Vorstehers der jüdischen Gemeinde Niederzissens, von 1979 zufolge, soll in dem verschollenen Memorbuch der ehemaligen jüdischen Gemeinde ein Eintrag aus dem Jahre 1250 existiert haben, der einen Hinweis auf eine frühe jüdische Gemeinde in Niederzissen enthielt. Sicher und urkundlich belegt ist jedoch das Bestehen einer jüdischen Gemeinde in Niederzissen seit 1510. Insbesondere zahlreich aufgefundene Rechnungen und Quittungen aus den Beständen der Burgherren zu Olbrück bezeugen seither die Zahlungen von Schutzgeldern, Begräbnisgebühren oder Gewerbesteuern der Niederzissener Juden an die jeweiligen Herren.

In Niederzissen gehörten Juden über Jahrhunderte zur Dorfgemeinschaft und hatten für das Dorfleben eine wichtige Bedeutung. Sie siedelten schwerpunktmäßig in der Mittelstraße, die deshalb im Volksmund auch „Judengasse“ genannt wurde. 1925 waren 73 der insgesamt 1258 Einwohner von Niederzissen jüdischen Glaubens. Die Geschichte der jüdischen Gemeinde endet nach den Jahren der Verfolgung 1942 mit der Deportation der hier noch lebenden Juden in Konzentrations- und Vernichtungslager.


Zur Geschichte der Synagoge bis zur Zerstörung 1938

Am 3. Juni 1838 konnte die jüdische Gemeinde Niederzissen für 100 Taler ein zuvor landwirtschaftlich genutztes Grundstück mit Wohnhaus und Scheune in der Mittelstraße erwerben. Nach dem Abriss der Scheune begann dort der Bau der Synagoge, die am 3. September 1841 feierlich eingeweiht wurde. Die jüdische Gemeinde hatte damit ein großes Gottes- und Versammlungshaus. Ihre Mitglieder kamen überwiegend aus dem Bereich der heutigen Verbandsgemeinde Brohltal und zwar aus Burgbrohl, Galenberg, Glees, Hain, Kempenich, Lederbach, Oberzissen, Niederzissen, Rieden, Spessart, Volkesfeld, Wehr, Weiler und zeitweise Königsfeld mit den Dörfern Dedenbach und Schalkenbach.

Der Mord an dem deutschen Gesandtschaftsrat Ernst vom Rath am 9. November 1938 in Paris diente dem deutschen NS-Regime als willkommener Vorwand für das als „Reichskristallnacht“ bezeichnete Pogrom vom 9. bis zum 11. November 1938 gegen die deutschen Juden. In der Nacht zum 10. November 1938 wurde auch die Niederzissener Synagoge entweiht. Die Einrichtungsgegenstände, Lesepult, der Thoraschrein und Bänke wurden zerschlagen, Bücher und Gebetsrollen auf die Straße geworfen und die Lampen des Deckenleuchters nach Aussage eines Zeitzeugen zerschossen.

Was genau in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 in Niederzissen geschehen ist, ist bis heute nicht geklärt. Ein Gerichtsverfahren hat es wegen der begangenen Straftaten auch nach Ende des „3. Reiches“ nicht gegeben.

Die Zweckentfremdung der Synagoge

Vertreter der noch existierenden jüdischen Gemeinde mussten die verwüstete und dadurch entweihte Synagoge auf staatlichen Druck hin noch 1938 verkaufen. Sie bevorzugten das Kaufangebot von August Blankart, einem Schmied aus Niederzissen. Dieser hatte bereits 1914 von einer jüdischen Familie sein Wohnhaus in der Mittelstraße, direkt gegenüber der Synagoge, gekauft und unterhielt seither gute und enge Kontakte zu seinen jüdischen Nachbarn.

Am 28. April 1939 wurde vor Notar Dr. jur. Adams in Sinzig der Kaufvertrag abgeschlossen. Seither betrieb die Familie Blankart in dem ehemaligen Synagogengebäude eine Schmiede, die 1955 um einen Anbau zur Werkstatt für Traktoren und Landmaschinen erweitert wurde. Bereits 1940 erfolgte der Abriss des Gemeindehauses mit der Mikwe, dem rituellen Bad. Der gesamte Vorhof diente als Park- und Lagerfläche. Seit der Werkstattschließung Ende 1994 wurde die “alte Schmiede” mit der kompletten Einrichtung nicht mehr genutzt.

Umdenkungsprozess und neue Nutzung

Nach dem Erlöschen des Schmiedegewerbes und ersten Überlegungen zu einem eventuellen Erwerb des Anwesens durch die Gemeinde, entstand ab dem Jahr 2007 eine breite und teilweise emotional geführte öffentliche Debatte über die Verwendung der ehemaligen Synagoge/alten Schmiede und deren Ankauf durch die Gemeinde.Am 9. November 2009 beschloss der Gemeinderat Niederzissen mit finanzieller Unterstützung durch die rheinland-pfälzische Landeskulturstiftung den Ankauf der ehemaligen Synagoge, um darin eine Erinnerungs- und Begegnungsstätte einzurichten.Nach Bewilligung erheblicher Zuwendungen des Landes Rheinland-Pfalz aus Mitteln der Dorferneuerung du der Denkmalpflege, der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und der Zusage des örtlichen Kultur- und Heimatvereins, Eigenleistungen in beachtlichem Ausmaß zu erbringen, begannen die Renovierungs- und Umbauarbeiten im Frühjahr 2011 und endeten mit der Eröffnungsveranstaltung am 18. März 2012. Seitdem hat der Kultur- und Heimatverein Niederzissen e.V. durch vertragliche Regelung mit der Gemeinde die Betriebsführung inne.